Für Betroffene und Angehörige
Wenn Sie vor 1981 in der Schweiz Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder Fremdplatzierungen wurden, können Sie einen Solidaritätsbeitrag beantragen. Darüber hinaus gibt es weitere Angebote, die Betroffene und ihre Angehörigen in ihrer individuellen Aufarbeitung unterstützen.
Der Solidaritätsbeitrag
Er beträgt 25'000 Franken und ist ein Zeichen dafür, dass die Gesellschaft das erlittene Leid und Unrecht anerkennt.
Kann ich den Beitrag erhalten?
Um den Solidaritätsbeitrag zu erhalten, müssen Sie im rechtlichen Sinn als Opfer anerkannt werden. Sie können den Beitrag beantragen, wenn diese Punkte auf Sie zutreffen:
- Sie waren vor dem Jahr 1981 in der Schweiz von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen oder einer Fremdplatzierung betroffen.
- Sie wurden dadurch körperlich, seelisch oder sexuell verletzt oder Ihre Entwicklung wurde schwer beeinträchtigt.
Dazu gehören zum Beispiel:
- Ehemalige Verdingkinder, Heim- oder Pflegekinder, die Gewalt, sexuellen Missbrauch oder Ausbeutung erlebt haben
- Personen, die ohne Gerichtsbeschluss in eine geschlossene Einrichtung gebracht («administrativ versorgt») wurden
- Personen, die dazu gedrängt oder gezwungen wurden, ihr Kind zur Adoption freizugeben
- Personen, die zur Sterilisation oder Kastration gedrängt oder gezwungen wurden
- Personen, die ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Medikamente erhalten haben oder an medizinischen Versuchen teilnehmen mussten
Sie können den Antrag jederzeit stellen, solange Sie leben.
Wie stelle ich einen Antrag?
So gehen Sie vor:
Sie können das Gesuchsformular mit Hilfe der kantonalen Anlaufstelle ausfüllen. Dort unterstützt man Sie in allem und leitet auch die Aktensuche für Sie ein. Das ist kostenlos und die Mitarbeitenden sind dafür geschult. Wenn Sie sich für diese Möglichkeit entscheiden, müssen sie nur einen Termin mit der Anlaufstelle in Ihrem Wohnkanton vereinbaren.
Oder:
Sie stellen den Antrag selbst und veranlassen die Aktensuche bei den zuständigen Staatsarchiven. In diesem Fall:
- Laden Sie das Gesuchsformular, die Wegleitung und das Merkblatt von der Webseite herunter oder bestellen Sie die Unterlagen beim Fachbereich für Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen in Papierform.
- Die Wegleitung hilft Ihnen beim Ausfüllen des Formulars.
- Füllen Sie das Gesuchsformular am Computer aus oder drucken Sie das Formular aus und füllen es von Hand aus.
- Veranlassen Sie eine Aktensuche in demjenigen Kanton, wo Sie zum Zeitpunkt Ihrer Fremdplatzierung gewohnt haben.
- Senden Sie das ausgefüllte und unterschriebene Formular mit den nötigen Unterlagen an das Bundesamt für Justiz.
Wo erhalte ich Unterstützung?
In jedem Kanton gibt es eine Anlaufstelle und ein Staatsarchiv. Diese helfen Ihnen und Ihren Angehörigen in verschiedenen Situationen.
Anlaufstellen
Die Fachpersonen der Anlaufstelle können zum Beispiel Folgendes für Sie tun:
- Sie hören Ihnen zu, wenn Sie Ihre belastenden Erlebnisse mitteilen wollen.
- Sie unterstützen Sie bei Fragen zum weiteren Vorgehen.
- Sie helfen Ihnen, ein Gesuch für einen Solidaritätsbeitrag zu stellen.
- Sie unterstützen Sie bei der Suche nach Ihren Akten
- Sie begleiten Sie bei der Durchsicht Ihrer Akten.
- Sie vermitteln Ihnen bei Bedarf Kontakte zu weiteren Stellen (z. B. Behörden oder Archive).
Die Beratung ist kostenlos, vertraulich und nach Wunsch anonym.
Staatsarchive
Die Mitarbeitenden der Staatsarchive:
- Suchen die Akten. Dabei handelt es sich um Dokumente der Vormundschaftsbehörden, aus Heimen und Einrichtungen oder um Gerichtsakten.
- Koordinieren die Aktensuche in Zusammenarbeit mit anderen Archiven
- Stellen ein Dossier mit Ihren Akten für Sie zusammen
Warum ist die Aktensuche wichtig?
Es ist wichtig, nach Akten zu suchen, denn:
- In den Akten stehen wichtige Informationen zu Ihrer Lebensgeschichte.
- Die Akten können Ihnen helfen, Ihre Vergangenheit besser zu verstehen.
Die Guido Fluri Stiftung hat einen Leitfaden für die Aktensuche veröffentlicht. Dieser hilft Ihnen, Ihre Unterlagen zu finden.
Was kann schwierig sein?
- Viele Akten sind nicht vollständig oder fehlen.
- Die Sprache in den Akten ist oft verletzend oder entwürdigend.
- Das Lesen dieser Texte kann sehr schmerzhaft sein. Sie können sich traurig, verletzt oder hilflos fühlen.
Was tun bei Fehlern in den Akten?
Wenn in Ihren Akten falsche Angaben stehen (zum Beispiel ein falscher Name oder ein falsches Geburtsdatum), können Sie diese korrigieren lassen.
Wenn Sie mit Aussagen in den Akten nicht einverstanden sind, können Sie einen Bestreitungsvermerk verfassen. Das ist ein Text, in dem Sie Ihre Sicht der Dinge beschreiben. Dieser Text wird zu Ihrer Akte hinzugefügt. Die Anlaufstelle oder die Staatsarchive unterstützen Sie dabei.
Weitere Unterstützungsangebote
Fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen wirken bis heute nach. Viele kämpfen noch heute mit den Folgen. Manche Betroffen machen gute Erfahrungen damit, ihre Geschichte zu erzählen. Eine gute Gelegenheit bietet das zum Beispiel das Erzählbistro, das immer wieder Begegnungen mit anderen Betroffenen veranstaltet. Auch Betroffene der zweiten Generation sind willkommen.
Erzählen kann entlasten und helfen, das Erlebte besser zu verstehen. Sie können zum Beispiel auch mit Ihrem Hausarzt/Ihrer Hausärztin oder mit dem Sozialamt darüber sprechen. So können andere Ihre Situation besser einordnen und Sie gezielt unterstützen.
Hilfe zur Selbsthilfe
Möchten Sie ein Projekt verwirklichen, das Opfer und Betroffene bei der Selbsthilfe unterstützt? Sie können eine Finanzhilfe für Selbsthilfeprojekte beantragen: www.bj.admin.ch